Wertewandel und Kultur im deutschen Mittelstand
BRAND CONTRAST
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16. März 2017
1. Welche Bedeutung haben heute noch die alten unternehmerischen Werte?
Nach dem deutschen Philosophen der Aufklärung Immanuel Kant sind Werte „spezifische Beschaffenheiten, die zur Hochschätzung würdig machen; spezifische positive Qualitäten, die Norm- und Soll-Charakter haben”. Vereinfacht formuliert, sind Werte von einem Unternehmen bewusst gewählte Eigenschaften, die dem Unternehmen wichtig, wertvoll und erstrebenswert sind und als Maßstab für ihr Handeln dienen.
Der mittelständische Unternehmer lebt teils schon seit Generationen in seinem Unternehmen vor, wie man sich gegenüber seinen Anteilseignern, Partnern, Mitarbeitern, Lieferanten oder Kunden verhält, ohne dass es dazu einer ausformulierten und implementierten Wertvorstellung bedarf. Sein ethisches Verhalten definiert der werteorientierte Unternehmer jedoch nicht erst dann, wenn er an die Grenzen der Legalität gelangen könnte, sondern bereits von Beginn seiner Unternehmung an! Ich denke, dass in diesem Zusammenhang der ehrbare Kaufmann mit seinen „hanseatischen Gepflogenheiten“ als gutes Beispiel ins Feld geführt werden muss. Bei ihnen gelten Wort und Handschlag ohne Wenn und Aber.
Werden die definierten und implementierten Leitwerte wirklich ernst genommen und gelebt, erfolgt die gesamte Ausrichtung des Unternehmens im Einklang mit den Werten, was sich in sämtlichen Handlungen widerspiegelt. Diese Unternehmenswerte sollen nach innen und außen Orientierung bieten. Mit Blick auf die 12 wichtigsten Werte in deutschen Unternehmen (siehe Grafik SCOPAR-Studie “Die wichtigsten Werte”) sind die TOP 3 Ehrlichkeit, Verlässlichkeit und Respekt.
Die 12 wichtigsten Werte in Deutschen Unternehmen (Quelle: SCOPAR)
Unabhängig von der Unternehmensgröße und Branche haben mittlerweile die meisten Unternehmen ihre Unternehmenswerte in irgendeiner Form beschrieben. Es scheint in diesen „unruhigen Zeiten“ zu einer Renaissance der Werte zu kommen. Das globale Wettbewerbsumfeld hat sich für den internationalen Mittelstand verschärft. Immer mehr Unternehmen entdecken daher die wertebasierte Markenführung als strategische Antwort darauf. Bei aller Austauschbarkeit der Leistungsangebote spielen Unternehmens- und Markenwerte in der Markenführung eine immer entscheidendere Rolle, um sich vom Wettbewerb zu differenzieren.
Ein Blick auf die Webseiten der Marktteilnehmer im FYB ist da recht inspirierend. Dort finden Sie die gesamte Spannbreite: Von ernst gemeint und authentisch über was könnte gut klingen bis hin zu gar nichts. Als positives Beispiel ist mir dort u.a. die Beteiligungsgesellschaft ALLISTRO mit dem Leitsatz „Werte schaffen – Werte erhalten“ und dem klaren Bekenntnis des Managements zu den Werten des Mittelstand und ihrer unternehmerischen Tradition aufgefallen. Auch interessant ist die Neuausrichtung der Südwestbank nach der Finanzkrise, die ihre Private Banking-Beratung konsequent an neuen hohen Qualitätsstandards und „einklagbaren“ Werten erfolgreich ausgerichtet hat.
Bedenklich hingegen finde ich, dass beispielsweise das Suchwort „Unternehmenswerte“ auf der Homepage der Bitkom „0“ Suchergebnisse angezeigt. Ich finde das schon alleine deshalb erstaunlich, weil die Bitkom als Sprachrohr der IT-Branche in Deutschland mehr als 2.400 innovative mittelständischen Unternehmen der digitalen Wirtschaft vertritt, die mit ihren rund 700.000 Beschäftigten jährlich Inlandsumsätze von 140 Milliarden Euro erzielen und für Exporte im Wert von weiteren 50 Milliarden Euro stehen. Ich hoffe, dass die Unternehmenswerte bei aller Euphorie für die Industrie 4.0 und die digitale Transformation nicht „wegdigitalisiert“ werden.
Bei anderen Mittelstandsvereinigungen, wie dem BVMW, kommt es zwar zu besseren Trefferzahlen, aber inhaltlich überzeugend sind die Beiträge oft nicht, auch wenn die Werteorientierung der Mitgliedsunternehmen vielfach als Schlachtruf ins Feld geführt wird.
Richtig gut und authentisch sind meines Erachtens die Unternehmen und Stiftungen des Weltmarkt führenden Mittelstands oder den Hidden Champions des deutschen Mittelstandes aufgestellt. Diese stehen traditionell für ehrlich gemeinte und gelebte Werte. Ihre Wertvorstellungen sind Teil des Erfolgskonzeptes. Von ihnen kann man in dieser Hinsicht eine Menge lernen.
Sehr fragwürdig finde ich in diesem Kontext den Umgang mit überzogenen Bonuszahlungen. Die Politik fordert nach all den Enthüllungen mehr Gerechtigkeit. Doch leider sind auch sie bei der Bevölkerung als unglaubwürdig angesehen, weil ihr eigenes Verhalten im Widerspruch zu ihren öffentlich verlautbarten Wertevorstellungen steht.
2. Welche Werte kann man in Netzwerken erkennen?
Vor dem Hintergrund permanenter Veränderungen in unserer globalisierten Welt ist die Besinnung auf Tugenden und die Renaissance der Werte als erfolgsstützende Sicht- und Handlungsanweisungen erfreulicher Weise wieder auf die Agenda gekommen.
Mit Fokus auf die Investmentbranche lohnt sich bei ihrer Frage ein kurzer analytischer Blick auf ein außergewöhnliches Netzwerk-Beispiel: Auf den im letzten Dezember gegründeten Start-up-Fonds „La Famiglia“, in dem sich Mitglieder deutscher Unternehmerfamilien zu einem internationalen Wagniskapital-Fonds und Netzwerk zusammengetan haben. Hier wird ganz gut deutlich, wie Netzwerke im Mittelstand auch über die Landesgrenzen hinaus funktionieren können. Der Fonds soll Geld in Start-ups investieren und den Austausch zwischen der Industrie und jungen Unternehmen fördern. Denn im Vergleich zu Ländern wie den USA gibt es in Deutschland aber auch in Europa bisher recht wenige Wagniskapital-Fonds, die Gründer unterstützen. So geht es bei La Famiglia nicht nur um die schlichte Anlageform des „Venture Capital“ bzw. der Frühphasen-Finanzierung, sondern auch um die zukünftig bessere Einbindung des Themas der Digitalisierung. Werte, die in dieser Zusammenarbeit gelebt werden, sind überhaupt erst die Basis für das Entstehen solcher Vehikel, wie es bei La Famiglia der Fall ist. Hierbei geht es nicht nur um eine schlichte Kooperation, sondern um Vertrauen, dass durch gemeinsames, auf Dauer angelegtes kooperatives Verhalten über Zeit entsteht.
Ob die Wahl des Namens “La Familia“ allerdings so glücklich gewählt ist und die dahinter stehende Geschäftsidee mit ihren definierten Werten widerspiegelt, bezweifele ich. In einem Artikel der Süddeutschen Zeitung wird der Unternehmensname „La Famiglia“ auf nachdenklich-amüsante Weise mit der „Mafia“ in Verbindung gebracht. „Famiglia“ ist zudem ein Kartenspiel, das im Gangster-Milieu spielt. Kann diese Analogie bei der Namensfindung so gewollt gewesen sein? Wir werden es vielleicht einmal erfahren.
3. Wie kann die Politik lernen von der Haltung und Verantwortung der Mittelständler, um wirkungsvoll und verantwortungsvoll Politik zu machen?
Das ist ein ganz schwieriges und komplexes Thema. Ich glaube, in unserer Gesellschaft sollten die Leute langsam aufwachen.
Die Rückbesinnung auf Unternehmenswerte, wie beispielsweise die schon zitierten „hanseatischen Gepflogenheiten“, schafft vielleicht wieder eine neue Qualität und ein neues Bewusstsein in der geschäftlichen Zusammenarbeit, in den öffentlichen Diskussion – sei es in Talkshows, in sogenannten Expertenrunden oder auf dem politischen Parkett – oder innerhalb der virtuellen Gemeinschaften auf den Plattformen und Kanälen der Sozialen Netzwerke. Damit meine ich auch die Haltung gegenüber dem verantwortungslosen Umgang mit gezielt gestreuten „Fake News“ oder „alternativen Fakten“, um Vorteile daraus zu schöpfen.
Spätestens seit der regelmäßigen Verbreitung der 140 Trump‘schen Zeichen auf Twitter und der Schmähung der Medien als „Lügenpresse“ durch rechte Populisten kommt es zu öffentlichem und prominentem Protest für das Einhalten von Werten und gegen eine respektlose Verhaltens- und Kommunikationskultur. Da sind wir dann wieder bei den Werten Ehrlichkeit, Verlässlichkeit und Respekt. Viele US amerikanische Unternehmen haben sich im Protest verbündet.
Es soll und muss unterschiedliche Positionen und Meinungen zu all den gesellschaftlichen, unternehmerischen oder politischen Themen geben. Vielfalt hat schon immer dabei geholfen, den besten Weg zu finden. Es ist zielführend kontrovers darüber diskutieren, welcher Weg oder welche Reaktion angemessen ist, wenn man einen anderen Standpunkt vertritt. Aber bitte mit Stil und Haltung und auf Basis von echten (und nicht alternativen) Fakten. Wenn man bedenkt, dass das Vertrauen in den Berufsstand eines Feuerwehrmanns, Sanitäters oder Piloten bei weit über 90% liegt aber in Politiker bei lediglich 15%, in Versicherungsvertreter bei 19%, Journalisten bei 37%, in Banker bei 39% oder in Unternehmer bei 51% in Deutschland liegt (laut GfK Compact Befragung), dann kommt das nicht von ungefähr. Die Politik (nicht nur in Deutschland) kann demnach von allen einiges lernen. Wäre an der Zeit und einen Versuch wert.
Wir sollten zu einem Wertebekenntnis Position beziehen, zu Ehrlichkeit, Verlässlichkeit und Respekt aufrufen, wie der Mittelstand die Werte vorleben und das so oft wie möglich mit intelligenten Botschaften tun. Mittelstand und Politik sollten in Zukunft wieder mehr Hand in Hand gehen. Denn der Weg zu nachhaltigen und erfolgreichen Lösungen erfordert das Zusammenspiel aller Beteiligten. Ganz oben auf meiner Wunschliste steht eine geringere Einflussnahme der Politik in unternehmensspezifische Entscheidungen.
Über Nikolaus Zumbusch:
Nikolaus Zumbusch (Jahrgang 1963) gründete 2010 die Kommunikationsberatung BRAND CONTRAST mit Sitz in Frankfurt am Main. BRAND CONTRAST unterstützt seine Kunden bei der Formulierung und der Umsetzung ihrer Ziele mit Initiative, Ideen und professionellem Kommunikationsmanagement und Kommunikationscontrolling.
Nikolaus Zumbusch verfügt über umfangreiche Erfahrung in den Bereichen Wertschöpfung durch Kommunikation, Kommunikationsstrategie, Markenkommunikation, CEO Positionierung, Online-Kommunikation und Social Media. Zu dem Kunden zählen Unternehmen und Organisationen aus den Bereichen Telekommunikation, Technologie, IT, Energie, Financial Services, Private Equtiy, Maschinen und Anlagenbau, Logistik und Architektur/Bau.
Als Managing Director leitete er die Technology Practice von Burson-Marsteller Deutschland in Frankfurt. Als Mitglied des Management-Teams der global tätigen Agentur für Public Relations und Public Affairs und entwickelte die Bereiche Media Intelligence und Evidenced Based Communications auf internationaler Ebene federführend mit und betreue national und international agierende Organisationen und Unternehmen.