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Grusswort | Die sichtbare Hand der Geopolitik

 
FYB 2024

„Geopo­li­tik“ war in der Finanz­welt in der Vergan­gen­heit höchs­tens ein exoti­sches Fremd­wort. „Poli­tisch“, damals noch ohne „geo“, wurde es zunächst in Folge der Finanz­krise 2008 und den daraus resul­tie­ren­den staat­li­chen regu­la­to­ri­schen Eingrif­fen in den Finanz­markt, die zumin­dest teil­weise an den Grund­pfei­lern des bis dato gelten­den Finanz­sys­tems rüttel­ten. Wir erin­nern uns an die regu­la­to­ri­schen Eingriffe des Dodd-Frank Act (2010), zahl­rei­che regu­la­to­ri­sche Einzel­maß­nah­men der EU, später in Teilen zusam­men­ge­fasst in der Banken­union (EBU), und das Basel III-Regime. Kern dieser Refor­men war zum einen die Stär­kung der Resi­li­enz des Finanz­sys­tems, z.B. durch höhere Eigen­ka­pi­tal­quo­ten und stär­kere Aufsicht. Zum ande­ren eine neue und radi­ka­lere Idee: makro­pru­den­zi­elle Über­wa­chung. Kern des Ansat­zes ist die Annahme, dass über­ge­ord­nete staat­li­che Insti­tu­tio­nen Ungleich­ge­wichte in Finanz­märk­ten schnel­ler erken­nen als der Markt selbst und gegen­steu­ernd eingrei­fen. In Kürze: ein Primat der Poli­tik über den Finanzmarkt.

Doch wann wird aus Poli­tik Geopo­li­tik? – Die Finanz­markt­krise von 2008 war ein deut­li­ches Symptom eines empi­ri­schen Trends der letz­ten Jahr­zehnte. Welt­weit nehmen sowohl Frequenz als auch Inten­si­tät von Krisen zu. Ursa­chen und Art der Krise sind verschie­den, über Pande­mien, extreme klima­ti­sche Verän­de­run­gen und krie­ge­ri­schen Ausein­an­der­set­zun­gen ist nahezu alles dabei. Dennoch lässt sich ein wesent­li­cher Nenner für die über­wie­gende Zahl an Krisen ausma­chen: geopo­li­ti­sche Fakto­ren. Dieser Trend wird sich in den kommen­den Jahren weiter verschär­fen – Geopo­li­tik in einer globa­len Umbruchs­phase und die Neuord­nung der inter­na­tio­na­len Bezie­hun­gen wird das prägende Element des nächs­tens Jahrzehnts.

Wir erle­ben momen­tan eine funda­men­tale stra­te­gi­sche Ausein­an­der­set­zung west­lich gepräg­ter Demo­kra­tien mit auto­kra­ti­schen Staa­ten. Insbe­son­dere vertre­ten durch China und Russ­land. Diese Ausein­an­der­set­zung ist syste­misch und es tref­fen im Kern unter­schied­li­che Werte­sys­teme aufein­an­der, die selbst eine gemein­same Über­ein­kunft über basale Fakten oder die Defi­ni­tion von Wahr­heit nicht zulas­sen. Die Stabi­li­tät der Sicher­heits­ar­chi­tek­tur seit 1990 hat sich erheb­lich verän­dert und einen beispiel­lo­sen Wandel – Zeiten­wende – in Europa einge­läu­tet. China und Russ­land zielen darauf ab, die regel­ba­sierte Ordnung zu schwä­chen und die USA von ihrer derzei­ti­gen Vormacht­stel­lung zu verdrän­gen. Inves­to­ren und Unter­neh­men müssen sich darüber im Klaren sein, dass es keine Rück­kehr zum – vor dem Krieg vorherr­schen­den – „Normal­zu­stand“ geben wird. Im Gegen­teil, der grund­le­gende Konflikt wird aller Voraus­sicht nach lange andau­ern und tief­grei­fende Auswir­kun­gen auf die Welt­wirt­schaft und die Märkte haben.

Die Folgen dieser stra­te­gi­schen Ausein­an­der­set­zung machen sich in vielen Berei­chen bemerk­bar: Globale Wieder­auf­rüs­tung, engere Alli­an­zen unter bereits verbün­de­ten Staa­ten, wirt­schaft­li­cher Protek­tio­nis­mus, deut­lich stei­gende Zahl an Sank­tio­nen, ein Wett­lauf um die Vorherr­schaft in rele­van­ten Tech­no­lo­gie­be­rei­chen und krie­ge­ri­sche Konflikte. Auch der russi­sche Über­fall auf die Ukraine ist in diesem Konflikt eher logi­sche Folge als Ursa­che und markiert vor aller Augen sicht­bar den Beginn eines globa­len Neuord­nungs­pro­zes­ses. Dabei verschwimmt die Trenn­li­nie zwischen Krieg und Frie­den zuneh­mend und anstelle dessen treten Grau­stu­fen der hybri­den Kriegs­füh­rung, die von wirt­schaft­li­chen Druck­mit­teln, wie Export­kon­trol­len bis hin zu Cyber­at­ta­cken reichen. In Demo­kra­tien ist dabei kriti­sche Infra­struk­tur oftmals in unter­neh­me­ri­schen Händen, die damit ein Haupt­ziel staat­li­cher Cyber­an­griffe werden. Eine weitere Kompo­nente, die sich weiter­hin verstär­ken wird, ist der Kampf um Ressour­cen. Dazu gehö­ren neben kriti­schen Rohstof­fen und Ener­gie vor allem sowohl Zugang als auch Nutzung von Wasser.

Doch warum ist Geopo­li­tik für die Finanz­wirt­schaft rele­vant und wo liegen die Schnitt­stel­len zwischen den beiden Welten? – Die Auswir­kun­gen der zuvor skiz­zier­ten Entwick­lun­gen auf die Finanz­wirt­schaft sind einschnei­dend und facet­ten­reich. Zum einen müssen Invest­ments in Unter­neh­men eine „geopo­li­ti­sche Check­liste“ abha­ken, die sicher­stellt das Invest­ments in Unter­neh­men flie­ßen, die sowohl in ihrer Produk­ti­ons­ar­chi­tek­tur als auch in der Beschaf­fung und im Absatz in Grund­zü­gen resi­li­ent aufge­stellt sind. Zum ande­ren bieten sich neue Chan­cen und Risi­ken in stra­te­gi­schen Berei­chen wie Ener­gie und Ressour­cen, die stark durch geopo­li­ti­sche Entwick­lun­gen geprägt sind. Dabei sind insbe­son­dere neue Märkte inter­es­sant, die nicht ausrei­chend erschlos­sen sind, z.B. in Südame­rika und Südost­asien, und stra­te­gi­sche Indus­trie­be­rei­che, die im euro­päi­schen Raum gestärkt werden, sowie Inves­ti­tio­nen in kriti­sche Ressour­cen und Rohstoffe. Letzte stel­len gleich­zei­tig eines der größ­ten Risi­ken für die heimi­sche Indus­trie dar. Dazu gehört beispiel­weise Lithium, der in moder­nen Akkus verbaute Stoff, ohne die die welt­weit ersehnte Ener­gie­wende undenk­bar erscheint.

Die in verschie­dens­ten Indus­trie­zwei­gen benö­tig­ten kriti­schen Rohstoffe (Nickel, Kobalt, Zinn, Niob, Tantal, Graphit, Lithium, Seltene Erden, Vana­dium, Kupfer und Phos­phat) werden zu großen Teilen in afri­ka­ni­schen und latein­ame­ri­ka­ni­schen Ländern geför­dert. Die Volks­re­pu­blik China hat dies erkannt und sich in den vergan­ge­nen zwei Jahr­zehn­ten den Zugang zu Rohstof­fen auf dem afri­ka­ni­schen und südame­ri­ka­ni­schen Konti­nent stra­te­gisch gesi­chert und ihren wirt­schaft­li­chen Einfluss massiv ausge­baut. Die EU setzt große poli­ti­sche Pakete wie das Rohstoff­ge­setz um und drängt auf Souve­rä­ni­tät, Inno­va­tion und Nach­hal­tig­keits­pro­jekte. Aller­dings ist sie immer noch mit hohen Abhän­gig­kei­ten konfron­tiert. So erfolgt die sekun­däre Produk­tion bzw. die Verede­lung von diver­sen kriti­schen Rohstof­fen in China (60 Prozent Markt­an­teil bei der welt­wei­ten Kobalt­ver­ede­lung), was extreme Asym­me­trien zur Folge hat. Die Abhän­gig­keit Euro­pas von in China abge­bau­ten bzw. verar­bei­te­ten Rohstof­fen ist größer, als es die Abhän­gig­keit von russi­schem Gas je war.

Gestei­gert wird der Kampf um Ressour­cen auch durch den spür­ba­ren Mangel an eben jenen, wie beispiels­weise Wasser und Nahrungs­mit­tel. Durch den Angriffs­krieg in der Ukraine und die dadurch hervor­ge­ru­fe­nen welt­wei­ten Getreide-Engpässe ist die Bedeu­tung von Nahrungs­mit­tel­si­cher­heit als geopo­li­ti­scher Faktor in vermeint­lich am Krieg unbe­tei­lig­ten Dritt­län­dern offen­sicht­lich geworden.

So hat unter ande­rem die Knapp­heit von Getreide und die dadurch gestie­gene Lebens­­­mi­t­­tel-Infla­­tion in Tune­sien beinahe zum Staats­bank­rott geführt, der nur durch ein weite­res Darle­hen des Inter­na­tio­na­len Währungs­fonds abge­wen­det werden konnte. Gleich­zei­tig hat die Verknap­pung von Getreide die geostra­te­gi­sche Bedeu­tung Süd-ameri­­kas dras­tisch verstärkt. Der südame­ri­ka­ni­sche Agrar­sek­tor spielt eine zentrale Rolle für die globale Versor­gung mit Lebens­mit­teln. Brasi­lien und dessen Nach­bar­län­der sind gut aufge­stellt, um die wach­sende Nach­frage nach Mais (aktu­ell 30 Prozent der Welt­pro­duk­tion), Rind­fleisch, Geflü­gel, Zucker, Soja­boh­nen (derzeit 60 Prozent der Welt­pro­duk­tion) und Kaffee zu bedie­nen. Progno­sen gehen davon aus, dass die Lebens­mit­tel­ex­porte der Region in den nächs­ten zehn Jahren um 17 Prozent auf 100 Milli­ar­den US-Dollar anstei­gen. Der Mangel an Nahrungs­mit­teln und Wasser wird in Zukunft erheb­li­chen Einfluss auf poli­ti­sche Entschei­dun­gen, wie zum Beispiel das Weizen-Expor­t­­ver­­­bot Indi­ens, und vor allem auch Migra­tion haben.

Im Kampf um Ressour­cen wie kriti­sche Rohstoffe, Wasser und Nahrungs­mit­tel signa­li­siert zeit­gleich die wach­sende Welt­be­völ­ke­rung zuneh­men­des Konflikt­po­ten­zial. Zu Ressour­cen gehö­ren im weite­ren Sinne auch Arbeits­kräfte. Die Rolle der Demo­gra­phie als geopo­li­ti­scher Trei­ber wird daher immer wich­ti­ger. Indus­trie­na­tio­nen welt­weit kämp­fen mit sinken­den Bevöl­ke­rungs­zah­len und altern­den Gesell­schaf­ten. Gleich­zei­tig nehmen die Flücht­lings­ströme zu, und Afrika wird bis 2030 voraus­sicht­lich der einzige Konti­nent mit einer Frucht­bar­keits­rate von über 2,1 sein, was auf ein Bevöl­ke­rungs­wachs­tum aus eige­ner Kraft hindeu­tet. Demo­gra­fi­sche Verän­de­run­gen und Geopo­li­tik sind eng mitein­an­der verknüpft. So beein­flusst die Alters­struk­tur die mili­tä­ri­sche und wirt­schaft­li­che Macht eines Staa­tes, während zugleich geopo­li­ti­sche Verän­de­run­gen die Demo­gra­fie durch Fakto­ren wie krisen­be­dingte Flücht­lings­ströme beeinflussen.

Auch Handels­rou­ten sind ein bedeut­sa­mer Aspekt, der Wirt­schaft und Geopo­li­tik wech­sel­sei­tig beein­flusst. Eine Seeblo­ckade in der Taiwan-Straße in Folge einer Eska­la­tion zwischen China und Taiwan beispiels­weise hätte massive Auswir­kun­gen auf die Welt­wirt­schaft. Alle genann­ten geopo­li­ti­schen Trei­ber und Entwick­lun­gen sind ausschlag­ge­bend für den wirt­schaft­li­chen Erfolg eines Unter­neh­mens. Geopo­li­ti­sche Verschie­bun­gen bergen in hohem Maße wirt­schaft­li­che Chan­cen und Risi­ken. Ein plötz­li­cher Poli­tik­wech­sel in einem Dritt­staat, ein sich anbah­nen­der Konflikt in einer für einen bestimm­ten Rohstoff wich­ti­gen Region oder eine Neuord­nung der poli­ti­schen Alli­an­zen – all dies kann entschei­dend sein für das Gelin­gen oder den Weiter­be­stand eines wirt­schaft­li­chen Vorha­bens. Ein umfas­sen­des und weit­rei­chen­des Verständ­nis von Geopo­li­tik ist für Unter­neh­men und Inves­to­ren, die sich in der sich verän­dern­den Geschäfts- und Inves­ti­ti­ons­land­schaft zurecht­fin­den müssen, somit uner­läss­lich. Geopo­li­tik ist zu einer zentra­len Facette wirt­schaft­li­chen Handelns gewor­den. Rohstoffe werden dabei zum macht­po­li­ti­schen Druck­mit­tel, und Absatz­märkte verän­dern sich erheb­lich. Sank­tio­nen, insbe­son­dere Sekun­där­sank­tio­nen, spie­len eine größere Rolle.

Fazit – Die Welt gehört den Muti­gen. Die geopo­li­ti­sche Situa­tion Deutsch­lands und der EU aber auch die Ihrer Part­ner hat sich in den letz­ten Jahren dras­tisch verän­dert. Dies beein­flusst unter­neh­me­ri­sches Handeln und Inves­ti­ti­ons­ent­schei­dun­gen über alle Geschäfts­fel­der hinweg. Die Auswir­kun­gen geopo­li­ti­scher Ereig­nisse auf Märkte sind ausge­präg­ter denn je. Fakto­ren wie regio­nale Konflikte, Handels­kriege, Sank­tio­nen, demo­gra­fi­sche Verän­de­run­gen und Umwelt­pro­bleme beein­flus­sen die Perfor­mance einzel­ner Unter­neh­men erheb­lich. Um erfolg­reich zu inves­tie­ren, müssen Projekte in ihrer geopo­li­ti­schen Dimen­sion durch­dacht werden. Unter­neh­men und Inves­to­ren müssen sich weiter­hin auf ein durch hohe Vola­ti­li­tät gekenn­zeich­ne­tes und sich schnell verän­dern­des Geschäfts­um­feld und verstärkte Risi­ken einstel­len. Zugleich bietet eine fundierte Kennt­nis der geopo­li­ti­schen Dyna­mi­ken und eine Flexi­bi­li­tät sich eben jener anzu­pas­sen, große Chan­cen für erfolg­rei­che Invest­ments. Geschäfts­füh­rer, Aufsichts­räte und Inves­to­ren müssen die Auswir­kun­gen der sich verän­dern­den geopo­li­ti­schen Land­schaft auf ihr Geschäft oder Port­fo­lio früh­zei­tig erken­nen und einpreisen.

Dr. Timo Blenk

 

 

 

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